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Regeln
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Eine Zusammenfassung von Dr. Klaus Heller
Am 1. Juli 1996 haben in Wien die politischen Vertreter der deutschsprachigen Staaten und weiterer interessierter Länder eine Gemeinsame Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung unterzeichnet. Damit sind die langjährigen Bemühungen, die darauf gerichtet waren, Erleichterungen beim Erlernen und bei der Handhabung der deutschen Orthographie herbeizuführen und das amtliche Regelwerk den heutigen Erfordernissen anzupassen, zu einem guten Ende geführt worden. Um den Interessen sowohl des Schreibenden als auch des Lesenden nachzukommen und um bei aller wünschenswerten Vereinfachung keinen Bruch mit der Schreibtradition zuzulassen waren zahlreiche Kompromisse unumgänglich. Rein linguistische Lösungen waren ebensowenig erreichbar wie rein pragmatische.
In Zukunft wird eine zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung mit Sitz am Institut für deutsche Sprache in Mannheim dafür Sorge tragen, dass die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum bewahrt bleibt. Sie wird Zweifelsfälle auf der Grundlage des neuen orthographischen Regelwerks klären und Empfehlungen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Sprachwandel erarbeiten.
Die folgende Darstellung enthält die wichtigsten Informationen zur Reform.
A) Laut-Buchstaben-Zuordnungen (einschließlich Fremdwortschreibung)
B) Getrennt- und Zusammenschreibung
Die folgenden Beispiele sollen die wichtigsten Änderungen illustrieren. Auskunft in jedem konkreten Fall vermag nur das Regelwerk insgesamt - mit seinem Regelteil und seinem Wörterteil - zu geben.
Einschneidende Maßnahmen, die das historisch gewachsene Schriftbild der deutschen Sprache verändert hätten, sind nicht vorgenommen worden. Frühere Vorschläge sind oft eben daran gescheitert. Die neue Regelung konzentriert sich darauf, Verstöße gegen das Stammprinzip zu beseitigen. Sie verfolgt also das Ziel, die gleiche Schreibung eines Wortstammes möglichst in allen Wörtern einer Wortfamilie sicherzustellen. Entscheidend dabei ist, ob ein Wort im heutigen Sprachgebrauch einer Wortfamilie zugeordnet wird oder nicht.
Einzelfälle mit Umlautschreibung:
alte Schreibung neue Schreibung behende behände (zu Hand) belemmert belämmert (heute zu Lamm) Bendel Bändel (zu Band) Gemse Gämse (zu Gams) Quentchen Quäntchen (heute zu Quantum) schneuzen schnäuzen (zu Schnauze, großschnäuzig) Stengel Stängel (zu Stange) überschwenglich überschwänglich (zu Überschwang) verbleuen verbläuen (heute zu blau) aufwendig aufwendig (zu aufwenden) oder aufwändig (zu Aufwand) Schenke Schenke (zu ausschenken) oder Schänke (zu Ausschank) Wächte "Schneewehe" Wechte (nicht zu wachen) aber weiterhin: Eltern (trotz alt)
Einzelfälle mit Verdopplung des Konsonantenbuchstabens nach kurzem Vokal:
alte Schreibung neue Schreibung Karamel Karamell (zu Karamelle) numerieren nummerieren (zu Nummer) plazieren (placieren) platzieren (zu Platz) Stukkateur Stuckateur (zu Stuck) Tolpatsch Tollpatsch (heute zu toll)
ss für ß nach kurzem Vokal
Zur Sicherstellung der gleichen Schreibung der Wortstämme wird auch der Wechsel von ss zu ß nach kurzem Vokal aufgehoben und konsequent ss geschrieben, also Wasser/wässerig/wässrig oder müssen/er muss.
Hingegen bleibt ß in Wörtern wie Maß, Muße und Straße erhalten und kennzeichnet nunmehr eindeutig die Länge des vorausgehenden Vokals oder einen Doppellaut vor stimmlosem s-Laut (draußen, beißen).
Die bisher daß geschriebene Konjunktion wird jetzt - entsprechend der allgemeinen Regel, dass nach kurzem Vokal ss steht - dass geschrieben. Damit bleibt die Unterscheidung gegenüber dem Artikel beziehungsweise dem Relativpronomen das erhalten.
alte Schreibung neue Schreibung hassen - Haß hassen - Hass küssen - Kuß, küssen - Kuss, sie küßten sich sie küssten sich lassen - er läßt lassen - er lässt müssen - er muß müssen - er muss Wasser - Wasser - wässerig - wäßrig wässerig - wässrig daß dass
Erhalt der Stammschreibung in Zusammensetzungen
Wenn in Zusammensetzungen drei gleiche Konsonantenbuchstaben zusammentreffen (Ballett + Truppe, Ballett + Tänzer), werden stets alle geschrieben, also nicht nur wie bisher in Fällen wie Balletttruppe, sondern auch in Fällen wie Balletttänzer (bisher Ballettänzer, bei Trennung jedoch Ballett-tänzer). Die Schreibung mit Bindestrich ist immer möglich.
alte Schreibung neue Schreibung Flanellappen Flanelllappen Flußsand Flusssand Ballettänzer Balletttänzer Stoffetzen Stofffetzen usw. (wie bisher schon Balletttruppe usw.) aber weiterhin dennoch, Drittel, Mittag
Entsprechend bleibt auch bei der Endung -heit ein vorausgehendes h erhalten: Rohheit (zu roh), Zähheit (zu zäh) statt Roheit und Zäheit. Neben selbständig ist auch selbstständig (selbst + ständig) möglich.
alte Schreibung neue Schreibung Roheit Rohheit (zu roh) Zäheit Zähheit (zu zäh) Zierat Zierrat (wie Vorrat) selbständig selbständig/selbstständig
Systematisierung in Einzelfällen
Die Schreibung von bisher rauh und Känguruh wurde geändert zu rau (vgl. die Adjektive auf -au wie blau, grau, genau, schlau) beziehungsweise zu Känguru (vgl. andere fremdsprachige Tierbezeichnungen wie Emu, Gnu, Kakadu).
alte Schreibung neue Schreibung rauh rau (wie grau, schlau usw.) Känguruh Känguru (wie Gnu, Kakadu usw.)
Entsprechend dem zugrunde liegenden Substantiv auf -anz oder -enz ist die Schreibung mit z (essenziell usw.) die Hauptform. Die bisherige Schreibung mit t (essentiell usw.) bleibt als Nebenform bestehen.
alte Schreibung neue Schreibung essentiell essenziell (zu Essenz), auch essentiell Differential Differenzial (zu Differenz), auch Differential differentiell differenziell (zu Differenz), auch differentiell Potential Potenzial (zu Potenz), auch Potential potentiell potenziell (zu Potenz), auch potentiell substantiell substanziell (zu Substanz), auch substantiell
Fremdwörter bereiten wegen ihrer fremden Laut-Buchstaben-Zuordnungen oft besondere orthographische Schwierigkeiten. Im Widerstreit stehen der Respekt vor der fremden Sprache einerseits und die Loyalität gegenüber der Muttersprache andererseits. Angleichungen in der Schreibung (und in der Aussprache) haben seit jeher stattgefunden, betreffen im Normalfall aber nur häufig gebrauchte Wörter des Alltagswortschatzes.
Weitere Angleichungen kamen daher nur in Betracht und sind in der Regel nur dann vorgenommen worden, wenn eine Entwicklung bereits angebahnt war. So lässt sich beispielsweise die in den Wortstämmen phon, phot und graph bereits vorhandene f-Schreibung für ph auf weitere Beispiele ausdehnen. Auf eine forcierte Angleichung über diese Wortstämme hinaus wurde jedoch verzichtet. Wörter wie Philosophie, Phänomen, Metapher oder Sphäre sollen weiterhin wie bisher geschrieben werden.
War eine integrierte Schreibung schon bisher bei den meisten Wörtern einer Gruppe vorhanden (etwa die Schreibung -ee statt -é oder -ée: Allee, Komitee, Resümee usw.), so wird diese für alle übrigen Wörter nun als zweite zulässige Schreibung zugelassen oder ist sogar bevorzugte Variante. Das gilt auch für Wörter mit den Stämmen phon/fon, phot/fot, graph/graf (bisher schon: Fotografie, Grafik, Mikrofon usw.).
Die Eindeutschung von Fremdwörtern ist zwar für jeden gewöhnungsbedürftig, doch ist dieser Schritt sinnvoll, weil die deutsche Sprache wie jede andere Sprache seit jeher das Bestreben hat, sich Fremdes zu Eigen zu machen. Im Verlaufe der Sprachgeschichte sind auf diese Weise Tausende aus anderen Sprachen übernommene Wörter zu heimischen Wörtern (Lehnwörtern) geworden: Aus älterer Zeit gehören dazu etwa Esel, kaufen, Kohl, Münze, pflanzen, Senf, Straße oder Tisch, aus jüngerer Zeit beispielsweise Bluse, Bombe, Dekan, Mais, Muster, Scheck, Streik oder Tasse. In der Regel tritt die neue Schreibung als fakultative Nebenform zunächst neben die bisherige Schreibung. Dieses Verhältnis kann sich mit wachsender Vertrautheit auch allmählich umkehren, was vor allem bei Alltagswörtern oft der Fall ist.
Die Änderungen betreffen im Einzelnen die folgenden Gruppen, deren wesentliche Fälle hier aufgeführt sind:
alte Schreibung neue Schreibung ai ai oder ä Frigidaire Frigidaire, auch Frigidär (als Warenzeichen Frigidaire) Necessaire Necessaire, auch Nessessär (wie bisher schon Mohär, Sekretär, Militär, Majonäse, Polonäse usw.) ph ph oder f quadrophon quadrophon, auch quadrofon Photometrie Fotometrie, auch Photometrie Geographie Geographie, auch Geografie Graphologe Graphologe, auch Grafologe Orthographie Orthographie, auch Orthografie Megaphon Megaphon, auch Megafon (wie bisher schon Mikrofon, Fotografie, Grafik usw.) Delphin Delphin, auch Delfin (wie bisher schon fantastisch) gh gh oder g Joghurt Joghurt, auch Jogurt Spaghetti Spaghetti, auch Spagetti (wie bisher schon Getto, Finn-Dingi usw.) é und ée é/ée oder ee Bouclé Bouclé, auch Buklee Exposé Exposee, auch Exposé Kommuniqué Kommuniqué, auch Kommunikee Varieté Varietee, auch Varieté Chicorée Chicorée, auch Schikoree (wie bisher schon Allee, Armee, Komitee, Resümee, Dragee, Haschee usw. ) qu k Kommuniqué Kommuniqué, auch Kommunikee (wie bisher schon Etikett, Likör usw.) ou ou oder u Bouclé Bouclé, auch Buklee (wie bisher schon Nugat) ch ch oder sch Ketchup Ketschup, auch Ketchup Chicorée Chicorée, auch Schikoree (wie bisher schon Anschovis, Broschüre, Haschee, retuschieren, Scheck, Sketsch, transchieren usw.) rh rh oder r Katarrh Katarrh, auch Katarr Myrrhe Myrrhe, auch Myrre Hämorrhoiden Hämorrhoiden, auch Hämorriden c c oder ss Facette Facette, auch Fassette Necessaire Necessaire, auch Nessessär (wie bisher schon Fassade, Fasson, Rasse usw.) th th oder t Panther Panther, auch Panter Thunfisch Thunfisch, auch Tunfisch Hinzu kommt als Einzelfall: Portemonnaie Portmonee, auch Portemonnaie
Im amtlichen Regelwerk von 1901/1902 war der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht generell geregelt. Die im Rechtschreib-Duden seit 1915 entwickelte und später mit einer Vielzahl von Sonderregelungen belastete Darstellung wird vor allem dadurch überschaubarer, dass von der Getrenntschreibung als dem Normalfall ausgegangen wird. An die Stelle schwer handhabbarer inhaltlicher Kriterien (Zusammenschreibung "wenn ein neuer Begriff entsteht" oder "wenn die Bedeutung des Substantivs verblasst ist") treten grammatische Proben (Erweiterbarkeit, Steigerbarkeit usw.). Die wichtigsten Vorschläge betreffen die folgenden Gruppen:
Verbindungen von Substantiv + Verb wie Auto fahren/ich fahre Auto, (aber bisher) radfahren/ich fahre Rad werden generell getrennt geschrieben:
alte Schreibung neue Schreibung radfahren Rad fahren aber Auto fahren (wie Auto fahren) teppichklopfen/ Teppich klopfen Teppich klopfen haltmachen Halt machen
Die Unterscheidung von konkreter und übertragener Bedeutung als Kriterium für Getrenntschreibung (auf dem Stuhl sitzen bleiben) beziehungsweise Zusammenschreibung (in der Schule sitzenbleiben im Sinne von "nicht versetzt werden") wird aufgegeben, da dieses Kriterium schon bisher nicht funktioniert hat, wie die folgenden Beispiele zeigen: im Bett liegenbleiben (bisher zusammen trotz konkreter Bedeutung), mit seinem Plan baden gehen (bisher getrennt trotz übertragener Bedeutung "scheitern"). Es gilt nunmehr die konsequente Getrenntschreibung von Verb + Verb (bei geänderter Stellung ohnehin schon bisher: er blieb in der Schule sitzen). Aus dem Textzusammenhang heraus sind alle diese Fälle eindeutig zu verstehen.
alte Schreibung neue Schreibung sitzenbleiben sitzen bleiben (in der Schule), aber sitzen bleiben (auf dem Stuhl)
Eine Differenzierung der Schreibung nach inhaltlichen Kriterien wird zugunsten der Getrenntschreibung auch in Fällen wie den folgenden aufgegeben:
alte Schreibung neue Schreibung abwärtsgehen abwärts gehen (schlechter werden), aber abwärts gehen (einen Weg)
In den folgenden Fällen wird aus Gründen der Analogie zu bereits bestehenden Schreibungen getrennt geschrieben:
alte Schreibung neue Schreibung gefangennehmen, aber gefangen nehmen getrennt schreiben (wie getrennt schreiben) übrigbleiben, übrig bleiben aber artig grüßen (wie artig grüßen)
Bereinigt wurde die Regelung von Verbindungen wie aneinander/auseinander/beieinander + Verb, und zwar durch generelle Getrenntschreibung, die für viele, aber nicht für alle Einzelfälle schon bisher galt.
alte Schreibung neue Schreibung aneinanderfügen, aneinander fügen aber aneinander denken (wie aneinander denken) zueinanderfinden, zueinander finden aber zueinander passen (wie zueinander passen)
Die Schreibung der Partizipformen richtet sich immer nach der Schreibung der Infinitivformen:
alte Schreibung neue Schreibung nahestehend nahe stehend (weil nahe stehen) laubtragende/ Laub tragende (Bäume) Laub tragende (Bäume) (weil Laub tragen)
Wie bereits so viele, wie viele wird jetzt auch so viel, wie viel geschrieben:
alte Schreibung neue Schreibung soviel, wieviel, so viel, wie viel aber so viele, (wie so viele, wie viele wie viele)
Hingegen werden alle Verbindungen mit irgend - wie bisher schon irgendwer und irgendwohin - zusammengeschrieben:
alte Schreibung neue Schreibung irgend etwas, irgendetwas, irgend jemand, irgendjemand aber irgendwer, (wie irgendwer, irgendwann irgendwann)
Der Bindestrich eröffnet dem Schreibenden grundsätzlich die Möglichkeit unübersichtliche Zusammenschreibungen zu gliedern; und er lässt es zu, grafisch beziehungsweise syntaktisch nicht vereinbare Bestandteile als eine Einheit darzustellen (3/4-Takt, das In-den-Tag-hinein-Träumen usw.). Die neue Regelung beseitigt vor allem Ungereimtheiten. Zugleich will sie der Entscheidung des Schreibenden mehr Raum geben, durch die Verwendung des Bindestrichs seine Aussageabsicht zu verdeutlichen.
alte Schreibung neue Schreibung Ichform, Ichsucht, Ichform/Ich-Form, Ichsucht/Ich-Sucht, aber Ich-Laut Ichlaut/Ich-Laut 17jährig, 3tonner, 17-jährig, 3-Tonner, 2pfünder 2-Pfünder 4silbig, 100prozentig 4-silbig, 100-prozentig --------------------------------------------------------------------- Kaffee-Ersatz Kaffeeersatz/Kaffee-Ersatz Zoo-Orchester Zooorchester/Zoo-Orchester Balletttruppe Balletttruppe/Ballett-Truppe Flußsand Flusssand/Fluss-Sand
Für mehrgliedrige Anglizismen gelten die gleichen Regeln wie für einheimische Zusammensetzungen, d. h. grundsätzlich Zusammenschreibung, aber zulässige Schreibung mit Bindestrich, vor allem dann, wenn Unübersichtlichkeit befürchtet wird.
alte Schreibung neue Schreibung Hair-Stylist Hairstylist/Hair-Stylist Job-sharing Jobsharing/Job-Sharing Midlife-crisis Midlifecrisis/Midlife-Crisis Sex-Appeal Sexappeal/Sex-Appeal Shopping-Center Shoppingcenter/Shopping-Center
Da sich für die vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie ursprünglich vorgeschlagene Kleinschreibung der Substantive keine mehrheitliche Zustimmung finden ließ, wurde in Wien über den Vorschlag einer modifizierten Großschreibung entschieden. Sinn der modifizierten Großschreibung ist es, die traditionelle Großschreibung der Substantive beizubehalten, besonders schwierige Bereiche der Groß- und Kleinschreibung jedoch im Sinne einer besseren Handhabung neu zu regeln. Im Gegensatz zu allen anderen Sprachen dient die Großschreibung im Deutschen nicht nur der Kennzeichnung von Satzanfängen, Eigennamen und Ausdrücken der Ehrerbietung, sondern auch zur Markierung einer Wortart: der Substantive.
Schwierigkeiten bei der Groß- und Kleinschreibung ergeben sich vor allem daraus, dass einerseits Wörter aller nichtsubstantivischen Wortarten im Text als Substantiv gebraucht werden können und dann großzuschreiben sind (das Laufen, das Wenn und Aber, die Ewiggestrigen). In vielen Fällen ist diese Substantivierung jedoch nur eine scheinbare, formale, sodass nach der geltenden Regelung keine Großschreibung eintrat (im voraus; es ist das beste, wenn ... ; im nachhinein; auf dem trockenen sitzen "in finanzieller Verlegenheit sein" usw.). Andererseits werden in einer Reihe von Fällen ursprüngliche Substantive auch nichtsubstantivisch gebraucht (heute abend, mittags, trotz seiner Krankheit) und entsprechend kleingeschrieben.
Die Änderungen zielen darauf ab klare, wenn möglich formale Kriterien für die Großschreibung zu gewinnen. Damit kommt dem Artikelgebrauch entscheidende Bedeutung zu. Insgesamt führt das zu einer leichten Vermehrung der Großschreibung.
So werden Substantive in Verbindung mit einer Präposition (wie auf Grund, in Bezug, mit Bezug) oder einem Verb (z. B. Rad fahren, Tennis spielen) generell großgeschrieben.
alte Schreibung neue Schreibung in bezug auf, in Bezug auf aber mit Bezug auf (wie mit Bezug auf) radfahren Rad fahren aber Auto fahren (wie Auto fahren)
Nur noch in Verbindung mit den Verben sein, bleiben und werden schreibt man Angst, Bange, Gram, Leid, Schuld und Pleite klein (Mir wird angst. Sie sind schuld daran. Aber: Ich habe Angst. Sie hat Schuld daran.).
alte Schreibung neue Schreibung angst (und bange) Angst (und Bange) machen machen, (wie Angst haben) aber Angst haben schuld geben Schuld geben pleite gehen Pleite gehen (aber bange sein, gram bleiben, pleite werden)
Großgeschrieben werden substantivierte Adjektive als Ordinalzahlen (z. B. der Erste und der Letzte, der Nächste, jeder Dritte), den Indefinitpronomen nahe stehende unbestimmte Zahladjektive (z. B. alles Übrige, nicht das Geringste) sowie Adjektive in festen Wortverbindungen (z. B. im Klaren, im Folgenden, im Nachhinein, des Näheren oder - bei Verwendung sowohl in wörtlicher als auch in übertragener Bedeutung - im Dunkeln tappen, im Trüben fischen).
alte Schreibung neue Schreibung der, die, das letzte der, die, das Letzte der nächste, bitte der Nächste, bitte alles übrige alles Übrige nicht das geringste nicht das Geringste im großen und ganzen im Großen und Ganzen des näheren des Näheren im allgemeinen im Allgemeinen es ist das beste das Beste (= am besten), wenn ... auf dem trockenen auf dem Trockenen sitzen sitzen (in finanzieller Verlegenheit sein) den kürzeren ziehen den Kürzeren ziehen (Nachteile haben)
Bezeichnungen für Tageszeiten sollen großgeschrieben werden, wenn sie in Verbindung mit heute, (vor)gestern oder (über)morgen stehen: heute Mittag, gestern Abend, vorgestern Morgen. - Als substantivische Zusammensetzung gilt die Verbindung von Wochentag und Tageszeit: am Sonntagabend (dazu das Adverb sonntagabends).
alte Schreibung neue Schreibung heute mittag heute Mittag gestern abend gestern Abend am Sonntag abend am Sonntagabend Sonntag abends sonntagabends
Großgeschrieben werden Farb- und Sprachbezeichnungen in Verbindung mit Präpositionen (z. B. in Rot, bei Grün; auf Englisch, in Deutsch).
alte Schreibung neue Schreibung auf deutsch, auf Deutsch aber bei Grün (wie bei Grün)
Großgeschrieben werden Paarformeln mit nicht deklinierten Adjektiven zur Bezeichnung von Personen (z. B. Arm und Reich, Jung und Alt, Groß und Klein).
alte Schreibung neue Schreibung groß und klein Groß und Klein jung und alt, Jung und Alt aber Arm und Reich (wie Arm und Reich)
Bei Superlativen mit aufs ist Großschreibung (aufs Beste, aufs Herzlichste) oder Kleinschreibung möglich (aufs beste, aufs herzlichste).
alte Schreibung neue Schreibung aufs beste aufs beste/aufs Beste aufs herzlichste aufs herzlichste/aufs Herzlichste
Bei festen Fügungen aus Adjektiv und Substantiv wird das Adjektiv generell kleingeschrieben (z. B. das schwarze Brett, die erste Hilfe, der weiße Tod). Großschreibung tritt jedoch ein, wenn es sich um Eigennamen, d. h. um singuläre Benennungen handelt (z. B. der Stille Ozean). Auch Titel (z. B. Regierender Bürgermeister), klassifizierende Bezeichnungen in der Biologie (z. B. Roter Milan), besondere Kalendertage (z. B. Heiliger Abend) und historische Ereignisse (z. B. der Westfälische Friede) werden großgeschrieben.
alte Schreibung neue Schreibung das Schwarze Brett das schwarze Brett der Weiße Tod der weiße Tod die Erste Hilfe die erste Hilfe
Ableitungen von Personennamen, wie z. B. ohmsch, werden generell kleingeschrieben, d. h. auch, wenn die persönliche Leistung gemeint ist: das ohmsche Gesetz. Groß wird ein Name geschrieben, wenn seine Grundform betont werden soll. Dann wird die Endung mit einem Apostroph abgesetzt: die Grimm'schen Märchen.
alte Schreibung neue Schreibung das Ohmsche Gesetz, das ohmsche Gesetz aber der ohmsche (wie der ohmsche Widerstand Widerstand)
Kleingeschrieben werden die vertraulichen Anredepronomen du und ihr mit ihren zugehörigen Formen, während Sie und Ihr als Höflichkeitsanreden samt ihren flektierten Formen weiterhin großzuschreiben sind.
alte Schreibung neue Schreibung Du, Dein, Dir usw. du, dein, dir usw. Ihr, Euer, Euch usw. ihr, euer, euch usw. (in der vertraulichen Anrede)
Auch der Bereich der Zeichensetzung war im amtlichen Regelwerk von 1901/1902 nicht geregelt. Gegenüber der bisherigen Duden-Regelung gibt es Vereinfachungen beim Komma vor und oder oder sowie in Verbindung mit Infinitiv- und Partizipgruppen. Dem Schreibenden wird hier größere Freiheit eingeräumt. Dadurch hat er mehr Möglichkeiten, dem Lesenden die Gliederung zu verdeutlichen und das Verstehen zu erleichtern.
Mit und oder oder verbundene Hauptsätze müssen nicht mehr durch ein Komma getrennt werden.
alte Schreibung neue Schreibung Der Schnee schmolz dahin, Der Schnee schmolz dahin und bald ließen sich die und bald ließen sich die ersten Blumen sehen, und ersten Blumen sehen und die Vögel stimmten ihr Lied die Vögel stimmten ihr Lied an. an.
Bei Infinitiv- oder Partizipgruppen wird ein Komma nur noch gesetzt, wenn sie durch eine hinweisende Wortgruppe angekündigt (1) oder wieder aufgenommen werden (2) oder wenn sie aus der üblichen Satzstruktur herausfallen (3):
(1) Darüber, bald zu einem Erfolg zu kommen, dachte sie lange
nach.
(2) Bald zu einem Erfolg zu kommen, das war ihr sehnlichster Wunsch.
(3) Sie, um bald zu einem Erfolg zu kommen, schritt alsbald zur Tat.
Zweckmäßig ist es, ein Komma zu setzen, wenn dadurch die Gliederung des Satzes verdeutlicht wird oder ein Missverständnis ausgeschlossen werden kann: Sie begegnete ihrem Trainer(,) und dessen Mannschaft musste lange auf ihn warten. Ich rate(,) ihm(,) zu helfen.
Alle anderen Regeln für die Zeichensetzung bei diesen Gruppen entfallen.
Bei der Trennung der Wörter ist die bisherige Regel, st stets ungetrennt zu lassen ("Trenne nie st, denn es tut ihm weh!"), aufgehoben. Wörter wie Wes-te, Kas-ten werden so getrennt wie bisher schon Wes-pe oder Kas-ko.
alte Schreibung neue Schreibung We-ste Wes-te Ka-sten Kas-ten Mu-ster Mus-ter
Weiterhin wird das ck (Zucker) bei der Worttrennung nicht mehr durch kk ersetzt (bisher Zuk-ker). Im Sinne der Beibehaltung der Stammschreibung bleibt ck erhalten und kommt geschlossen auf die nächste Zeile, also Zu-cker (ähnlich wie bei la-chen und wa-schen).
alte Schreibung neue Schreibung Zuk-ker Zu-cker lek-ken le-cken Bak-ke Ba-cke
Für Fremdwörter gelten neben den bisher vorgeschriebenen Trennungen, die nur der Herkunftssprache Rechnung tragen (Chir-urg, Si-gnal, Päd-agoge, par-allel, Heliko-pter), nun auch die für heimische Wörter geltenden Trennregeln: Chi-rurg (wie Si-rup), Sig-nal (wie leug-nen), Pä-dagogik (wie ba-den), pa-rallel (wie Pa-rade), Helikop-ter (wie op-tisch).
alte Schreibung neue Schreibung Chir-urg Chir-urg/Chi-rurg Si-gnal Si-gnal/Sig-nal Päd-agogik Päd-agogik/Pä-dagogik par-allel par-allel/pa-rallel Heliko-pter Heliko-pter/Helikop-ter
Die Regelung, nach der ein einzelner Vokalbuchstabe am Wortanfang nicht abgetrennt werden darf, ist aufgehoben worden.
alte Schreibung neue Schreibung Ufer (untrennbar) U-fer Ofen (untrennbar) O-fen
Lesehemmende Trennungen (Seeu-fer, Altbauer-haltung) sollte man vermeiden.
Welche Übergangsregelungen sind getroffen worden?
Mit der Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung durch die politischen Vertreter der deutschsprachigen Staaten und weiterer interessierter Länder am 1. Juli 1996 in Wien und durch die offizielle Veröffentlichung des amtlichen Regelwerkes in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz ist der schon 1901 erhobenen Forderung Konrad Dudens nach einer behutsamen Weiterentwicklung der deutschen Orthographie im Sinne ihrer Vereinfachung und leichteren Handhabbarkeit in den Grenzen des heute Machbaren nachgekommen worden. Bereits mit Beginn des Schuljahres 1996/97 ist es möglich, in den Schulen die neue Rechtschreibung zu lehren. Ab 1. August 1998 darf nur noch nach den neuen Regeln unterrichtet werden. Die alte Schreibung wird bis zum Ende des Schuljahres 2004/05 jedoch nicht als falsch angesehen, sondern ist lediglich als überholt zu kennzeichnen.
Wird die Orthographiereform bezahlbar sein?
Die lange Übergangszeit soll es ermöglichen, die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ohne besondere Kosten umzusetzen. Damit können Schulbücher im normalen Rhythmus erneuert werden. Mit Ausnahme von Sprachlehrbüchern soll die neue Orthographie erst bei Neusatz Berücksichtigung finden. Auch sind bereits gedruckte Formulare ganz normal aufzubrauchen.
Wie lange soll die neue Regelung Bestand haben?
Die neue Regelung soll möglichst lange Bestand haben. Häufige Änderungen der Norm würden zu ständigen Verunsicherungen in der Sprachgemeinschaft führen. Allerdings wird es unausweichlich sein, gelegentlich Korrekturen vorzunehmen, sei es um neuen Entwicklungen gerecht zu werden, oder sei es um in Einzelfällen auch überholte Schreibungen (etwa bei Varianten) zu streichen. Derartige Anpassungen, die bisher - nicht selten uneinheitlich - von den Rechtschreibwörterbüchern vorgenommen worden sind, sollen künftig von einer zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung durchgeführt werden. Ihre Aufgabe wird es demnach sein, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum auf der Grundlage des neuen orthographischen Regelwerks zu bewahren. Sie wird die Sprachentwicklung beobachten, Zweifelsfälle klären und Empfehlungen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Sprachwandel erarbeiten und wissenschaftlich begründen. Ihren Sitz wird die Kommission am Institut für deutsche Sprache in Mannheim haben, das schon bisher die Bemühungen um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung koordiniert hat. Eine enge Zusammenarbeit mit Praktikern, etwa Lexikographen und Didaktikern, ist vorgesehen.
Der Nachdruck dieser Ausgabe ist mit der folgenden Quellenangabe gestattet:
Sprachreport, Extra-Ausgabe Juli 1996,
Institut für deutsche Sprache, Mannheim